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Adolar Wiedemann
Die Prägestempel der ehemals Freien Reichsstadt Isny im Allgäu
in: Beiträge zur Süddeutschen Münzgeschichte
Festschrift zum 75-jährigen Bestehen des Württembergischen Vereins für Münzkunde e.V.
Selbstverlag Stuttgart 1976
S. 123-209

Hier ohne Anfangsteil und ohne Katalog der Prägestempel:

Einige Überlegungen zur Prägetechnik
(S. 125-127)

    Die große Zahl der Stempel [205 Obereisen und 12 Untereisen aus dem Zeitraum 1508-1555] läßt auf große Ausbringungsmengen schließen. Da es keine Hinweise über die geprägten Mengen gibt, ist man auf Vermutungen angewiesen. Als Beispiel kann man den Tiroler Pfundner heranziehen, von dem bekannt ist, daß von Anfang September bis 26. Oktober 1482 mit einem einzigen Stempelpaar 18500 Stück geprägt wurden. Der Pfundner war etwa so groß wie der Batzen, aber doppelt so dick, was sich natürlich vorteilhaft auf die Lebensdauer der Prägewerkzeuge auswirkte.

    Auf jeden Fall war man auch zur damaligen Zeit bemüht, mit möglichst wenig Zeitaufwand möglichst viel zu leisten; dies war sicher der hauptsächliche Beweggrund für die Suche nach immer besseren Methoden zur Münzprägung. Leider stand dem das eifersüchtige Wachen der Münzmeister über die Berufsgeheimnisse im Wege. Zum Teil ist das verständlich wegen der trotz hoher Strafen zu allen Zeiten zahlreichen Fälscher und Heckenmünzer.

Abb. 1

    Beim aufmerksamen Betrachten zeitgenössischer Darstellungen der damaligen Münzprägetechnik, vornehmlich der Handprägung, fällt auf, daß manches nicht stimmt. Ich gehe sogar so weit, zu behaupten, daß manche Darstellungen absichtlich falsch sind, um Falschmünzer irrezuführen! Wenn man z. B. den Mann in Abb. 1 vorne rechts betrachtet, muß man sich fragen, wie lange er wohl für den Behälter voll Münzen, der neben ihm steht, gebraucht hat. Der Arbeitsablauf ist der Darstellung nach folgender: der Mann hält den Hammer in der rechten, das Obereisen in der linken Hand; der junge Gehilfe legt einen Schrötling auf das Untereisen und richtet ihn aus. Jetzt setzt der Mann das Obereisen auf den Schrötling und führt die Prägung aus. Das Ganze ist scheinbar in Ordnung, dabei darf man aber etwas nicht vergessen, nämlich: bei der leisesten Berührung des Obereisens mit dem Schrötling dreht sich dieser zur Seite weg und muß neu ausgerichtet werden! Man muß zugeben, eine recht umständliche Arbeitsweise. Mit der damals üblichen Methode des Streckens mit dem Hammer war es auch nicht möglich, vollkommen ebene Schrötlinge herzustellen, was den Prägevorgang weiter erschwerte.

    Bei all dem muß man noch bedenken, daß in einem Raum, in dem Metall geschmolzen wird, die Wände und die Decke nicht weiß bleiben können und deshalb sicher nicht die besten Lichtverhältnisse geherrscht haben werden. Aber gerade gutes Licht wäre bei dieser Art der Prägung Voraussetzung.

    Als weiteres Argument für meine Behauptung führe ich an: alle Isnyer Stempel ab Halb-Batzen-Größe haben eine mehr oder weniger nach außen gewölbte Prägefläche, die es unmöglich macht, eine Münze mit nur einem Schlag voll auszuprägen. Die Wölbung entstand nicht durch Abnützung! Selbst die Prägeflächen der wenig benützten und noch langen Oberstempel wie die Nr. A XIII 1; A XIII 2; A XIII 4; A XIII 5 sind konvex. Auch viele der Groschenstempel sind leicht gewölbt. Die gleichen Beobachtungen habe ich an Stempeln der Städte Konstanz und Kempten gemacht, die aus der selben Zeit stammen. Folglich waren zur Prägung einer Münze in Batzengröße mehrere Schläge notwendig, die jedesmal ein Zentrieren des Obereisens notwendig machten. Gerade das Zentrieren gestaltet sich aber beim Prägen in der Art der Darstellung äußerst schwierig.

    Abb. 2 zeigt deutlich die starke Wölbung beider Stempelflächen. In Höhe des äußeren Perlrandes - siehe Pfeil - beträgt der Abstand etwa 1 mm. In Abb. 3 wurde ein Batzen zwischen die Stempel gelegt; der Pfeil bezeichnet wieder die Stelle, an der der Perlrand liegt. Abb. 4 macht klar, um wieviel der Oberstempel geneigt werden mußte, damit sich die Ränder der Stempel soweit näherten, daß der Perlrand voll ausgeprägt wurde. Das dazwischengelegte Streichholz hat eine Stärke von 2 mm; d. h., daß die linke Seite um 1 mm angehoben wurde, was einer Neigung des Oberstempels gegen den Unterstempel von ca. 4 Winkelgraden entspricht.

    Bei einer so starken Neigung wird aber höchstens ein Drittel des Schriftrandes zufriedensteIlend ausgeprägt. Folglich waren zur Prägung mindestens vier Schläge notwendig; und zwar zunächst ein Schlag mit senkrechtem Oberstempel zur Zentrierung und Mittenprägung und dann drei Schläge mit geneigtem Oberstempel - Neigung jeweils um 120 Grad versetzt - zur Ausprägung der Legende und des äußeren Perlrandes.

    Die Prägung mit mehreren Schlägen hatte den Vorteil, daß ein Mann allein arbeiten konnte und zudem mit einem kleineren Hammer. Letzteres war sicher wichtig, da der Mann nicht so schnell ermüdete. Bei dieser Art der Prägung war es sogar eine zwingende Notwendigkeit, daß die Arbeit von einer Person allein ausgeführt wurde. Ein zweiter Mann hätte die Schläge niemals so genau plazieren können, wie es bei geneigtem Oberstempel erforderlich war.

    Angesichts der genannten Tatsachen und der großen Stückzahlen, auf die die Anzahl der Stempel schließen läßt, war eine rationelle Arbeitsweise unumgänglich; zudem mußte die Ausschußquote natürlich so klein wie möglich gehalten werden.

    Meines Erachtens wurde der Oberstempel beim Prägen mit der bloßen Hand gehalten, da an keinem der Stempel Spuren vorhanden sind, die auf die Anwendung von Zangen o. ä. schließen lassen. Auch Holzklammern fanden - zumindest bei den Isnyer, Konstanzer und Kemptener Stempeln - keine Verwendung. Dagegen sind die meisten Stempelschäfte richtiggehend glattgewetzt, wie es bei Metallteilen, die häufig in die Hand genommen werden - Griffe, Meißel u. ä. - der Fall ist.

Abb.5 Abb.6

    Beim Betrachten der Untereisen - auch Stock genannt - fällt einem die große Länge des Oberteils auf (Abb. A IV 1, 2 und 3). Angesichts der damals komplizierten Stahlherstellung stellt man sich die Frage, wozu diese Materialverschwendung, da für die Prägung ein Fünftel der Länge voll ausgereicht hätte. Abb. 5 zeigt jedoch, daß der Schaft in Form und Länge sehr gut der menschlichen Hand angepaßt ist. Legt man nun einen Schrötling und den Oberstempel auf den Unterstempel, so ergibt sich, wie aus Abb. 6 ersichtlich, ein durchgehend gleicher Durchmesser. Schließt man nun die Hand, wie in Abb. 7, sind alle drei Teile zueinander zentriert. Wichtig dabei ist, daß der Zeigefinger, bzw. bei längeren Oberstempeln der Mittelfinger, den Spalt zwischen den beiden Stempeln abdeckt. Der verbleibende Rest wird vom Daumen geschlossen. Abb. 7 zeigt auch, daß es auf diese Weise sehr gut möglich war, die Stempel so weit abzuarbeiten, wie etwa die Nrn. A I 60; A I 84; A I 85; A III 15 und andere. Selbstverständlich mußte von Zeit zu Zeit der entstandene Grat entfernt werden.

Abb.7 Abb.8

    Um Verletzungen der Hand zu vermeiden, die ein Grat wie am Stempel A III 15 hervorrufen könnte, wurde wahrscheinlich eine Lederscheibe über den Stempelschaft gestreift, die Daumen und Zeigefinger abdeckte. Abb. 8 zeigt nochmals, wie die Hand die Stempelfläche umschließt.

    Diese Art der Stempelführung ermöglichte ein sicheres und schnelles Prägen - auch bei schlechten Lichtverhältnissen. Der Arbeiter konnte nach jedem Schlag sofort sehr leicht kontrollieren, ob die beiden Stempel noch in der Teilprägung eingerastet waren. Die Schräglage für die Randprägung wurde durch leichtes Drehen des Handgelenks erreicht, wobei Daumen und Zeigefinger den Oberstempel nach unten zogen und gegen Verrutschen sicherten.

    Auch mit einem noch so gut gestalteten Haltewerkzeug für den Oberstempel ließe sich eine rationelle Prägung mit den vorliegenden Stempeln nicht durchführen. Kein Werkzeug kann bei dieser schwierigen Arbeit das Gefühl der menschlichen Hand ersetzen! Die Hand dämpfte auch das Zurückfedern des Oberstempels nach dem Schlag besser als ein Werkzeug. Zudem käme man beim Arbeiten mit einer Halterung nicht ohne Helfer aus, der den Schrötling einlegt. So aber braucht der Oberstempel bzw. der Hammer nicht aus der Hand gelegt zu werden; der Zeigefinger umschließt den Stempel, Daumen und Mittelfinger können bequem einen neuen Schrötling greifen und auf den Unterstempel legen.

    Sehr viele der Stempel sind am Rand ausgebrochen, weil der Durchmesser des Schaftes im Durchschnitt nur knapp 2 mm größer ist als die Prägefläche, was außerhalb des Perlrandes einen sehr schmalen Rand ergibt, der eben immer wieder ausbrach. (z. B. die Stempel A I 18; A I 63; A III 3 u. a.) Es wäre ein Einfaches gewesen, die Stempel im Schaft dicker zu machen um damit das Ausbrechen zu vermeiden; anscheinend wurde dieser Nachteil jedoch im Hinblick auf eine rationelle Arbeitsweise in Kauf genommen. Ein größerer Schaftdurchmesser hätte ein Zentrieren von Stempel und Schrötling in der beschriebenen Weise unmöglich gemacht.

    Sicher gab es zur gleichen Zeit auch noch andere Prägeverfahren; mir scheint jedoch das beschriebene für die vorliegenden Stempel am einleuchtendsten.

[Es ist erstaunlich, wie hier nackte Objekte - Ober- und Unterstempel - lebendig werden: Viele Indizien fügen sich zusammen und ergeben eine gut begründete Theorie des Prägevorganges. Diese hier als "einleuchtend" bezeichneten "Überlegungen zur Prägetechnik" wurden später in einem Aufsatz von Walter Kühn (NNB 10/1989) grossteils bestätigt, ergänzt und verallgemeinert.]


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