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Walter Kühn
Zur Hammerprägung der spätmittelalterlichen Münzen in Groschengröße
Eligius-Preis 1989: 1. Preis

in: NNB 10/1989, S.232-240

    Mit der Einführung der Groschenmünzen war ein neues prägetechnisches Problem entstanden. Das Prägen der größeren Münzen erforderte mehr Kraftaufwand als es bei den kleineren Denaren notwendig war. Dieses Problem ist erfolgreich gelöst worden. Das beweisen viele gut ausgeprägte Münzen. Die Frage, wie es gelöst worden ist, wurde jedoch bisher nicht gestellt. Aber die Antwort darauf kann Aufschluß geben über einige Beobachtungen an mittelalterlichen Groschenmünzen, die bisher nicht zu deuten waren.

Abb.1

    Eine dieser nicht zu erklärenden Beobachtungen vermittelte den ersten Ansatzpunkt zur Beantwortung dieser Frage. An einigen Groschenmünzen ist ein Teildoppelschlag festzustellen, der sich nur etwa auf einen 90°-Sektor der Münze erstreckt, besonders deutlich zu erkennen im Bereich der Legende. Der übrige Teil der Münze ist gut ausgeprägt. Auf dem Meißner Groschen der Abb. 1 beschränkt sich der partielle Doppelschlag nur auf den oberen 90°-Sektor. Die Legende ist undeutlich und der innere Perlkreis nicht geschlossen. Ferner ist der obere Teil des Vierpasses und des Blumenkreuzes verprägt. Der übrige Teil der Münze ist scharf abgebildet. Bei dem Versuch, die Ursache dieses prägetechnischen Fehlers zu ermitteln, konnten einige Sachzeugen und schriftliche Quellen gefunden werden, die belegen, daß der Vorgang der Hammerprägung bei den Groschenmünzen gegenüber dem der Denare verändert worden ist.

Die Theorie des mehrfachen Prägeschlages von A. Wiedemann
    A. Wiedemann hat an den Stempeln der Münzstätte lsny Beobachtungen gemacht, nach denen es unmöglich ist, daß die Münzen in Groschengröße (in Isny waren es Batzen) mit einem einzigen senkrechten Prägeschlag hergestellt worden sind, so wie es bei den Denaren üblich war.
    Er hat deshalb eine Theorie aufgestellt, wie nach seiner Ansicht diese Münzen hergestellt worden sind.1). Diese Theorie wird zunächst verkürzt wiedergegeben. [Siehe auch den Originalaufsatz.]


    Die Überlegungen gingen von der Beobachtung aus, daß die Münzstempel an der Prägefläche nicht eben, sondern nach außen gewölbt waren. Das war nach Wiedemanns Angaben auch bei neuen oder wenig gebrauchten Münzeisen der Fall. Abb. 2 zeigt diese Wölbung an aufeinandergestellten Ober- und Unterstempeln. An den Rändern ist ein Abstand von je 1 mm. Auf Abb. 3 wurde ein Münzplättchen dazwischen gelegt und bei Abb. 4 ist der Oberstempel so weit nach rechts geneigt, daß hier die Münze hätte geprägt werden können. Dabei klaffen die Stempel links so weit auseinander, daß ein Streichholz dazwischen gesteckt werden konnte (2 mm). Wiedemann schreibt dazu: "Bei einer so starken Neigung wird aber höchstens ein Drittel des Schriftrandes zufriedenstellend ausgeprägt. Folglich waren zur Prägung mindestens vier Schläge notwendig, und zwar zunächst ein Schlag mit senkrechtem Oberstempel zur Zentrierung und Mittenprägung und dann drei Schläge mit geneigtem Oberstempel - Neigung jeweils um 120° versetzt - zur Ausprägung der Legende und des äußeren Perlrandes."
Abb.5Abb.6   Abb.7

    Die praktische Durchführung dieser Prägeweise veranschaulichen die nächsten Abbildungen. Bei der Abb. 5 greift die Hand um den Unterstempel, wobei der Zeigefinger und der Daumen noch frei sind. Wenn der Daumen auch um den Stempel geführt wird, entsteht eine Höhlung (Abb. 6), die den Schrötling und darüber das Obereisen aufnehmen kann.
    Abb. 7 zeigt die Situation kurz vor dem Prägevorgang. Die beiden Münzeisen und der dazwischen liegende Schrötling werden fest von der Hand umschlossen und sind genau zentriert. Durch leichtes Drehen des Handgelenks konnte die Schräglage des Oberstempels herbeigeführt und für jeden Teilschlag verändert werden. Die Hand dämpfte das Zurückfedern des Stempels, und der Arbeiter konnte durch das Gefühl der Hand leicht feststellen, ob der Stempel nach der Teilprägung noch richtig eingerastet war. Der Schrötling kann eingelegt werden, ohne daß der Oberstempel bzw. der Hammer aus der Hand gelegt werden muß: "Der Zeigefinger umschließt den Oberstempel, Daumen und Mittelfinger können bequem einen neuen Schrötling greifen und auf den Unterstempel legen." Die Prägung mit mehreren Schlägen erforderte zwar einen größeren Zeit-, dafür aber einen geringeren Kraftaufwand, der einem einzigen Präger die Münzproduktion ermöglichte, ohne stark zu ermüden. Soweit A. Wiedemann.

Untersuchungen an Münzstempeln im Kölnischen Stadtmuseum
    Um diese Überlegungen nachzuprüfen, wurden im Kölnischen Stadtmuseum die dort vorhandenen Stempel für Münzen in Groschengröße untersucht, insgesamt 241 Stück, und zwar: für rheinische Tournosen (1350-1500) 101 Ober- und 22 Unterstempel; für andere Münzen in Groschengröße (1500-1640) 86 Ober- und 32 Unterstempel.
    Hierbei ergab sich, daß die meisten Stempel an der Prägefläche mehr oder weniger stark gewölbt waren, und zwar um so stärker, je länger sie benutzt worden sind. Aber im Gegensatz zu A. Wiedemann waren zwei neue und unbenutzte Stempel an der Prägefläche vollkommen eben. Das gleiche war bei mehreren wenig benutzten Stempeln der Fall.
    Entscheidende Erkenntnisse brachten die Untersuchungen der Schlagbärte der 187 Oberstempel. Sie hatten alle eine mehr oder weniger gleichmäßig gewölbte Form. Nur vier hatten einen Schlagbart, der einseitig abgeschrägt war. Fünf zeigten mit unterschiedlicher Deutlichkeit vier Dreiecke, die sich in der Mitte mit der Spitze treffen und nach außenhin schräg abfielen (Abb. 8). Bei einem Schlagbart waren es nur drei Flächen.

Abb. 8

Beurteilung
    Die vier schrägen, glatten Schlagflächen an dem oberen Teil des Stempelschaftes, die je einen Kreissektor von 90° abdecken, sind der Beweis dafür, daß die Münzen nicht mit einem, sondern mindestens mit vier schrägseitlichen Schlägen geprägt wurden. Die Vermutung von A. Wiedemann, die auf theoretischen Überlegungen beruht, konnte hier an den Werkspuren gebrauchter Oberstempel bestätigt werden. Allerdings muß es für Köln so präzisiert werden, daß kein zentraler erster Schlag erfolgte - davon war nirgends eine Spur zu erkennen - sondern nur vier seitlich-schräge Schläge. Bei einem Eisen scheint der Münzarbeiter mit drei Schlägen ausgekommen zu sein, vielleicht konnte er kräftiger zuschlagen.

Abb. 9

    Für diese Arbeitsweise wurde allem Anschein nach ein spezieller Hammer entwickelt. Auf einem Fresko (Abb. 9) in der Münzerkapelle des St. Barbara-Domes in Kutná Hora (Kuttenberg), der Stadt, in der ab etwa 1300 millionenfach Prager Groschen produziert wurden, hält ein Münzer Ober- und Unterstempel in der gleichen Weise in der Hand, wie sie auf Abb. 7 wiedergegeben ist. Sein Hammer ist abgebogen, und die Schlagflächen verlaufen nicht, wie üblich, parallel, sondern nach unten hin, zum Stiel konvergent. Durch diese Hammerkonstruktion konnten die Sektorenschläge ausgeführt werden, ohne daß das Handgelenk stark gedreht werden mußte. Dadurch blieben während des Prägevorgangs die beiden Stempel und der Schrötling in ihrer Lagebeziehung weitgehend konstant, wodurch eine gute Ausprägung gewährleistet war.
    Bei den Münzeisen mit den vier dreieckigen Flächen auf dem Schlagbart behielt der Münzer das Werkzeug immer in der gleichen Stellung fest in der Hand, so daß sich die Facetten bilden konnten. Das bestätigte die Vermutung von A. Wiedemann, daß der Stempel zum Einlegen eines Schrötlings nicht aus der Hand gelegt wurde. Bei den Oberstempeln mit der Wölbung ohne Facettenbildung wurde er jedoch in der Hand jedesmal beim Einlegen des Schrötlings etwas gedreht, so daß eine gleichmäßige Rundung des Schlagbartes entstand.
    Bei der Prägung jeder einzelnen Münze wurde durch die mehrmalige, jeweils an verschiedenen Stellen schräg ansetzende Krafteinwirkung der Rand der Prägefläche des Stempels besonders belastet. Dadurch wird dieser, auch am gehärteten Eisen, bei längerem Gebrauch eingedrückt, und der Stempel wölbt sich. Die Wölbung ist also eine Folge des Gebrauchs und nicht von vornherein bei der Stempelanfertigung vorgesehen. Beweis dafür - zumindest in Köln - ist die Tatsache, daß zwei ungebrauchte und die wenig gebrauchten Stempel flach sind und die Wölbung bei längerem Gebrauch zunimmt. Es würde einen erheblichen Zeitaufwand erfordern, wenn die Wölbung der Prägefläche schon bei der Stempelanfertigung eingearbeitet würde. Das hat nach dem gegenwärtigen Kenntnisstand auch keine prägetechnische Bedeutung.
    Ein weiteres Indiz für die Prägung mit mehreren seitlich-schrägen Schlägen erbrachte eine rheinische Tournose. Wenn an den Denaren eine Stelle schwach ausgeprägt war, so lag das meist daran, daß der Schrötling an dieser Stelle dünner war. Hier konnte der Prägedruck nicht wirksam werden, weil er von den dickeren Partien des Silberblechs abgefangen wurde. An der betreffenden Tournose war eine Randzone von etwa einem Viertel des Umfangs visuell erkennbar und auch meßbar deutlich dünner als der übrige Teil der Münze. Bei einem einzigen senkrecht ausgeführten Prägeschlag wäre dieser Teil schwach oder gar nicht ausgeprägt worden. An dieser Münze war aber auch dieser Bezirk genau so gut ausgeprägt wie die ganze Münze. Das war nur möglich bei der Prägung mit den schrägen Sektorenschlägen. Wenn allerdings ein Groschen-Schrötling in der Mitte oder nur ein kleiner Teil am Rande dünner ist, so entstehen auch bei den Groschen schlecht ausgeprägte Stellen, wie sie ja auch gelegentlich anzutreffen sind.

Abb. 10

    Ein Groschen aus Jägerndorf (Abb. 10) von dem ungarischen König Matthias Corvinus,. der von 1471-1490 auch König von Mähren, Schlesien und Lausitz war, gibt weiteren Anhalt für mehrere Prägeschläge. Sie lassen sich an der Münze ablesen. Der Sektor oben links (9-12 Uhr) ist gut ausgeprägt. Bei der Prägung des Sektors unten rechts (3-6 Uhr) ist das Metall etwas verrutscht. Dadurch ist beim zweiten Schlag auf diese Stelle die Legende geringfügig verprägt. Bei einem Sektor oben rechts (12-3 Uhr) hat sich der Schrötling nochmals, und zwar stärker, verschoben, so daß hier die Legende durch den zusätzlichen Schlag um eine viertel Buchstabenbreite verprägt ist. Die Verprägung geht bis zur Hand der Maria. Die Prägung des vierten Sektors unten links (6-9 Uhr) ist nicht geglückt, weil allem Anschein nach der Schlag diesen Teil nicht richtig getroffen hat, sondern mehr in Richtung 5-7 Uhr einwirkte. Denn hier ist das Münzbild gut, aber bei 7-9 Uhr fehlt es. Die unausgeprägte Stelle ist nicht darauf zurückzuführen, daß das Münzplättchen hier dünner ist, sondern an dieser Stelle hat der Schrötling noch seine ursprüngliche Dicke von 0,5 mm behalten, während er an den ausgeprägten Partien bis auf 0,4 mm zusammengepreßt wurde. Dieser Unterschied in der Dicke des Metalls beweist, daß bei den 0,5 mm kein Prägedruck ausgeübt worden ist. Die Analyse des Prägevorgangs bei dieser Münze ergibt, daß die vier Prägeschläge kreuzweise erfolgt sind. Das wird in Schriftstücken des 15. Jh.s bestätigt.

Das "Crutzen" (Kreuzen) der Münzen
    In der Anweisung eines Württembergischen Münzmeisters von 1493 heißt es: "Der Wardein soll sich gemünztes Geld, so ich das gemacht und zum Crutzen ausbereit habe, versuchen lassen, vor und ehe das gekruzt wird auf dem Münzstocke."2) Eindeutig wird hier der Vorgang des Hammerprägens "crutzen" genannt. In einer anderen Münzmeisterinstruktion von 1458 aus Osnabrück3) wird dieser Arbeitsgang "Crutzemonten" genannt, welches etwa bedeutet "kreuzweises Schlagen". Grote hat in der Abhandlung über die schwäbisch-allemanische Geld- und Münzgeschichte mehrere Deutungsversuche des Begriffs "Crutzen" unternommen, ohne zu einem befriedigenden Ergebnis zu kommen.4) Aber die eben aufgezeigten mehrfachen Hammerschläge beim Prägen der Groschenmünzen geben die Erklärung dafür, warum dieser Arbeitsgang "Crutzen" genannt wurde. Demnach wurden die Hammerschläge kreuzweise geschlagen, so wie es auch aus der Analyse des Jägerndorfer Groschens hervorging. Die Schriftquellen weisen nach, daß das Crutzen als Ausdruck für den Prägevorgang in Deutschland weit verbreitet war. So hatte sich dieser Terminus wohl allmählich für alle Prägevorgänge eingebürgert. Das ergibt sich aus der Anweisung eines Mainzer Münzmeisters aus dem Jahre 1464, wo auch bei Pfennigen von Crutzen geschrieben ist.5)
    Die Schriftquellen geben also den Nachweis, daß das Prägen mit mehreren kreuzweisen Schlägen erfolgte, und umgekehrt kann durch den effektiven Nachweis der Sektorenschläge ein bisher nicht zu deutender Begriff erklärt werden, der in Schriften des 15. Jh.s vorkommt.
    Sachzeugen und alte Dokumente bestätigen die von A. Wiedemann theoretisch entwikkelten Gedanken einer Prägung der Groschenmünzen durch mehrere Hammerschläge, die nach Aussage der Münzinstruktionen kreuzweise ausgeführt wurden.

Der partielle Doppelschlag
    Der partielle Doppelschlag tritt nur in einem 90°-Sektor auf und entspricht damit dem Teil der Münze, der jeweils von einem der schräg-seitlichen Prägeschläge getroffen wird. Bei den zweiseitigen Abweichungen ist oft, aber nicht immer, die gleiche Stelle der Gegenseite betroffen.
    Durch Untersuchung einer größeren Anzahl zweier verschiedener Groschensorten wurde zunächst der prozentuale Anteil des Teildoppelschlages ermittelt. Bei 518 rheinischen Tournosen weisen 35 einseitige und 4 zweiseitige Teildoppelschläge auf, also insgesamt 39 oder 7,5%; bei 146 Meißner Groschen zeigen 2 einseitige und 5 zweiseitige Teildoppelschläge auf, also insgesamt 7 oder 4,8%.
    Der Teildoppelschlag ist prozentual gering. Die Münzer haben demnach im allgemeinen mit den Sektorenschlägen gut ausgeprägte Münzen hergestellt.
    Ein partieller Doppelschlag konnte nur dadurch entstehen, daß an einem Sektor zweimal zugeschlagen worden ist. Der Grund für diesen zweiten Schlag läßt sich nicht genau ermitteln. Es gibt dazu zwei denkbare Möglichkeiten. Die erste ist die gedankliche Fortsetzung der oben dargelegten Theorie: In wenigen Fällen hatte der Münzarbeiter bei einem der Schläge das Gefühl, daß dabei nicht der richtige Prägedruck erreicht wurde. Die Gründe für dieses Gefühl lassen sich nicht nachvollziehen. Das wird auf langer Erfahrung und Routine beruhen. Jedenfalls wurde erneut zugeschlagen, ohne den Oberstempel abzusetzen. Die zweite, wohl realere Möglichkeit ist, daß generell bei allen vier Sektoren jeweils zweimal kurz hintereinander kräftig zugeschlagen worden ist. Diese Möglichkeit lassen die Untersuchungen an den Münzen vermuten, die an zwei verschiedenen Sektoren, sei es auf einer oder bei den Münzseiten, einen Doppelschlag aufweisen.
    Zwischen den beiden Schlägen hat sich die Lagebeziehung des Schrötlings zu einem oder beiden Stempeln geringfügig verändert. So entstand beim zweiten Zuschlagen der Teildoppelschlag. Diese Verschiebung war bei den untersuchten Münzen gering. Sie betrug im Höchstfall eine halbe Buchstabenbreite.
    Die prägetechnischen Bedingungen und Voraussetzungen und damit die Erklärung für das Zustandekommen des partiellen Doppelschlages konnte durch den Nachweis der Sektorenschläge bei den rheinischen Tournosen geklärt werden. Wenn auf anderen Münzen der gleiche Prägefehler zu finden ist, so läßt sich daraus schließen, daß diese Münzen in der gleichen Arbeitsweise hergestellt worden sind. Diese prägetechnisch bedingten Abweichungen konnten bisher an Erzeugnissen verschiedener Münzstätten beobachtet werden, so u.a. neben den rheinischen Tournosen für Isny, Kempten, Konstanz, Breslau, Jägerndorf, Augsburg, Brandenburg, Deutscher Orden, die späteren Prager Groschen und Meißner Groschen. Von den 518 untersuchten rheinischen Tournosen, eine Zahl, die einem repräsentativen Querschnitt entsprechen dürfte, hatten 7,5% einen Doppelschlag. Ob die 146 Meißner Groschen auch solch einen Querschnitt darstellen, ist fraglich. Aber die prozentuale Aussage dürfte doch einen Hinweis in die richtige Richtung sein. Danach waren bei den Meißner Münzen nur 4,8% mit Teildoppelschlag zu finden, also weniger als bei den Tournosen, dafür waren aber die beidseitigen Abweichungen bedeutend mehr. Daraus läßt sich ableiten, daß beide Münzsorten mit den Sektorschlägen geprägt worden sind. Aber der größere Anteil des zweiseitigen Prägefehlers bei den Meißner Groschen läßt auf werkstattbedingte geringe Unterschiede in der praktischen Ausführung der kreuzweise geführten Prägeschläge schließen.

Die Pseudolegenden bei den Meißner Groschen
    Bei den Meißner Groschen ist die Lageveränderung des Schrötlings zum Stempel, die sich während der schräg-seitlichen Sektorenschläge ergeben kann, in der Regel genauso gering wie bei den anderen Groschenmünzen und beträgt bei der partiellen Verprägung höchstens eine halbe Buchstabenbreite. Durch die vermutlich werkstattbedingte Eigenart bei der Produktion der Meißner Groschen kann in wenigen Fällen diese Lageveränderung eine oder mehrere Buchstabenbreiten betragen. Dadurch entstehen "neue Legenden", Pseudolegenden, mit Verdoppelung oder Weglassen von einem oder mehreren Buchstaben. W. Steguweit hat bei der Bearbeitung des Groschenfundes von Nordhausen zuerst darauf aufmerksam gemacht. In einer gesonderten Studie ist speziell diese Thematik behandelt worden.6) Hier sind mehrere Pseudolegenden angeführt. Bei diesen Abweichungen war immer auch ein Teil des Münzbildes verprägt, und es ergab sich, daß auf der Gegenseite deckungsgleich ebenfalls ein partieller Doppelschlag vorhanden war. Es hat sich hier also die Lage des Schrötlings zu beiden Stempeln verändert. Als Schlußfolgerung wurde vermutet, daß es sich nicht um Stempelvarianten, sondern um Prägefehler handelt. Die Sektorenabschläge geben von der prägetechnischen Seite her die Bestätigung dieser Auffassung. Die Pseudolegenden können nur Buchstaben enthalten, die in der normalen Legende anzutreffen sind. Andere Buchstaben konnte es dabei nicht geben. Da sich ein Prägefehler in genau gleicher Art nicht wiederholen kann, handelt es sich jedesmal um ein Unikum. Als Beispiel sei die Abb. 10 der zitierten Arbeit von W. Steguweit (Anm. 6) angeführt:
Pseudolegende der Rückseite:
GROSSVSSVS:MARh:MISNENSIS
Normale Legende:
o+oGROSSVS:MARh:MISNENSIS
Der Raum für die drei zusätzlichen Buchstaben wird dadurch gewonnen, daß die drei Zeichen Kringel-Kreuz-Kringel zu Beginn der Legende überprägt sind. Diese durch Prägefehler entstandenen Unterschiede in der Legende sind also keine Stempel- oder Legendenvarianten, sondern Pseudolegenden. Die Warnung vor einer mechanischen Registrierung der Legenden und ihrer verschiedenen Abweichungen ist demnach berechtigt und notwendig.

Ergebnisse
a)   Der bei Groschenmünzen notwendige stärkere Prägedruck ist wahrscheinlich zunächst durch einen zweiten Münzarbeiter mit beidhändigem Hammerschlag durchgeführt worden, wie es einige frühe Darstellungen des Prägevorgangs zeigen.7) Allmählich hat sich dann das Crutzen, d.h. das Prägen mit kreuzweisen Sektorenschlägen entwickelt und weit verbreitet. Das schließt aber nicht aus, daß manche Münzstätten diese Arbeitsweise nicht übernommen haben.
b)   Die Richtigkeit der Sektorenschläge wird belegt 1. durch die vier sich mit der Spitze treffenden Dreiecke auf den Schlagbärten einiger Oberstempel (Abb. 8) und 2. durch den Begriff des Crutzens, mit dem in einigen Dokumenten des 15. Jh.s der Prägevorgang bezeichnet wird. Umgekehrt erhält durch den Nachweis der Sektorenschläge dieser Begriff die richtige Deutung, die bisher nicht bekannt war.
c)   Die Verprägung auf Groschenmünzen betrifft jedesmal nur einen 90°-Sektor und ist besonders an der Legende festzustellen. Er ist durch einen Fehler bei der Prägung mit den Sektorenschlägen entstanden. Andererseits ist der partielle Doppelschlag ein Nachweis dafür, daß die Münze "gecrutzt" wurde. Es läßt sich dadurch die weite Verbreitung dieser besonderen prägetechnischen Arbeitsweise belegen.
d)   Die oben erfaßten Teildoppelschläge bei den Meißner Groschen können wegen der verhältnismäßig geringen Anzahl der untersuchten Münzen nicht unbedingt als repräsentativer Querschnitt betrachtet werden. Aber die Tendenz, daß die beiderseitigen Doppelschläge überwiegen, dürfte verwertbar sein. Hierbei hat der Schrötling seine Lage zu beiden Stempeln geringfügig verändert. In wenigen Fällen betrug die Verschiebung jedoch eine oder mehrere Buchstabenbreiten. Das ergab eine Pseudolegende, die bisher nur an Meißner Groschen beobachtet werden konnte. Der endgültige Nachweis, daß diese Pseudolegenden durch einen Fehler bei der Prägung entstanden sind, ist das bemerkenswerteste Ergebnis dieser Studie.
    In diesem Zusammenhang hat W. Steguweit eine stempelkritische Diskussion angeregt. Er schreibt8): "Ohne eine stempelkritische Diskussion unter Berücksichtigung prägetechnischer Bedingungen führen diese Ergebnisse zu einer weiteren sinnlosen Aufschwemmung des Krugschen Werkes9). Unter Umständen sind abwegige Schlußfolgerungen zu münz- und geldgeschichtlichen Aspekten die Folge." Diese Abhandlung ist ein Beitrag zu dieser Diskussion.

Nachtrag
    Nach Fertigstellung des vorliegenden Manuskripts schickte mir Mr. D. R. Cooper aus England 10) das Foto eines Münzstempels, welcher sich im Museum auf der Veste Coburg befindet. Auf dem Schlagbart sind deutlich die vier Schlagflächen abgezeichnet entsprechend Abb. 8. Das ist ein weiterer Beweis einer vierfachen, schräg-seitlichen Krafteinwirkung bei der Herstellung der Groschenmünzen und für die weite Verbreitung dieser Arbeitsweise.
    Nachträglich konnte auch folgende bisher nicht zugänglich Literatur eingesehen werden: R. I. Nesmith: The Coinage of the First Mint of the Americas at Mexico, 1536-1572. o.O. (USA) 1977. Im Abschnitt "Prägetechnik" wird das Vorkommen von Pseudolegenden beschrieben, genau so, wie sie W. Steguweit bei den Meißner Groschen beobachtet hat. S. 35 heißt es "Double striking ... can completely obscure one or more letters of a legend, or it can duplicate them. A coin with the observe legend ending EGGS in place of REGES can be the result of a double strike; the legend was not cut with that spelling in the die." Auf mehreren Abbildungen ist ein Teildoppelschlag in einem 90°-Sektor zu erkennen, besonders deutlich auf der starken Vergrößerung einer Münze zwischen den Seiten 52 und 53. Die von den Spaniern um 1535 nach Mexiko exportierte Münzprägetechnik mit den Vier-Sektoren-Schlägen ist demnach mit der in Meißen praktizierten zu vergleichen und ist ein weiterer Nachweis für die große Verbreitung dieser Prägeweise.

Anmerkungen
1) A. Wiedemann: Die Prägestempel der ehemals Freien Reichsstadt Isny im Allgäu. In: Beiträge zur Süddeutschen Münzgeschichte. Stuttgart 1976, S.123-209 (S.125-127).
2) H. Grote: Münzstudien 1857-1877, Bd. 6. Unveränderter Nachdruck Graz 1969, S.91.
3) Wie Anm. 2, S.92.
4) Wie Anm. 2, S.91-93.
5) Wie Anm. 2, S.92.
6) W. Steguweit: Legendenvariante - Prägefehler - Fälschung. Ein Beitrag zur stempelkritischen Analyse Meißner Groschen. In: Numismatische Hefte 33, hrsg. v. Kulturbund Gera, 1987, S.33-43 (S.36-39).
7) Z. B. H. Caspar: In meiner Müntz schlag ich gericht. Berlin 1974, S.75, Abb.36.
8) Wie Anm. 6, S.33.
9) G. Krug: Die meißnisch-sächsischen Groschen von 1238-1500. Berlin 1974.
10) D. R. Cooper ist der Verfasser eines lesenswerten Buches über die Geschichte der Prägetechnik: The Art and Craft of Coinmaking - A History of Minting Technology. London 1989.

Bildnachweis
Abb. 1 aus Slg. Röblitz, Leipzig. - Abb. 2-7 aus A. Wiedemann (Anm. 1). - Abb. 8 und 10 Aufnahmen des Verfassers. - Abb. 9 entnommen aus G. Probst: Die Metallversorgung der österreichischen Münzstätten. In: Der Anschnitt. Zeitschrift für Kunst und Kultur im Bergbau, 15. Jg., Nr. 4, 1963, S. 41.
    Dank zu sagen ist Herrn Prof. Dr. Röblitz, Leipzig; Herrn A. Wiedemann, Stuttgart und Mr. D. R. Cooper, England, für das Überlassen von Fotos; Herrn Dr. U. Klein, Vorsitzender des Württembergischen Vereins für Münzkunde, und Herrn A. Wiedemann für die Erlaubnis der Bildwiedergabe Abb. 2-7 und dem Städt. Museum Köln, besonders Herrn G. Grosch, für die Möglichkeit, die Münzstempel und die rheinischen Tournosen untersuchen zu können.

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