Das rund 464 Quadratkilometer große und sieben Pfarrgemeinden am Südhang der Pyrenäen umfassende Andorra gehörte einst politisch zum römischen, dann zum westgotischen und als Teil der spanischen Mark zum Karolingerreich und kirchlich bis heute zur spanischen Diözese Urgel. Später fielen Teile des Landes an die Grafen von Urgel und die französischen Barone de Caboet und de Castelbon, doch machten seit dem 9. Jahrhundert auch die Bischöfe von Urgel Herrschaftsrechte in dem kleinen Berglande geltend. 1208 gelangte der Besitz der Caboet und Castelbon durch die Heirat ihrer einzigen Erbin an die Grafen von Foix, denen später auch die Grafen von Urgel ihre Rechte in Andorra abtraten. Endlose Streitereien und blutige Kleinkriege um die Herrschaft in dem Berglande, die u. a. zur Absetzung des "unwürdigen" Bischofs Pons de Vilamur durch den Papst führten, wurden am 8. September 1278 durch einen Vertrag zwischen Bischof Pedro de Urg von Urgel und Graf Roger Bernard III. von Foix, der beide Parteien an der Regierung des umstrittenen Gebietes beteiligte, beigelegt. Dieser Vertrag legte ein Kondominium in den noch heute geltenden Landesgrenzen fest, in weichem zwar dem Grafen mehr materielle Vorteile zugestanden wurden, nach dem aber der Bischof wenigstens nominell sein Lehensherr war.
Noch heute ist der jeweilige Bischof von Urgel einer der beiden Herren von Andorra, doch gingen die Rechte der weltlichen Seite über den Bourbonen Heinrich IV., der die Titel eines Grafen von Foix, Vizegrafen von Béarn und Titularkönigs von Navarra trug und der im Jahre 1589 auch noch König von Frankreich wurde, an die französische Krone über. Heute wird die weltliche Seite der Herrschaft vom französischen Staatspräsidenten vertreten, doch sind die staatsrechtlichen Verhältnisse in dem Kleinstaat und die Machtaufteilung zwischen den beiden Herren, dem die Einwohner vertretenden Generalrat und den beiden großen Nachbarn Spanien und Frankreich äußerst kompliziert und teilweise auch nicht genau definiert. So ist u. a. die Frage, wer allenfalls das Münzrecht in Andorra besitzt, nicht geklärt. Im praktischen Leben ist diese Frage allerdings bedeutungslos, weil in Andorra, dessen Hauptstadt Andorra-la-Vella in den letzten Jahren das Aussehen eines riesigen Supermarktes für Luxuswaren angenommen hat, die spanische und französische Währung offiziell und alle bedeutenden frei konvertierbaren Währungen inoffiziell kursieren.
Am Ende des 19. Jahrhunderts versuchten die Bischöfe von Urgel unter Bezugnahme auf den noch immer geltenden Vertrag von 1278 eine faktische und nicht nur nominale Oberherrschaft in Andorra durchzusetzen. Das Unternehmen scheiterte zwar, schuf aber allerhand böses Blut. In Andorra wurde die erstmals 1806 von Napoleon eingerichtete Republik wieder ausgerufen und in deren Namen entstanden 1873 Kupfermünzen zu 5 und 10 Centimos. Als sich die Bewohner des Berglandes weigerten, den traditionellen Zehnten nach Urgel zu zahlen, veranlaßte der geistliche Hirte als Repressalie die Einrichtung bisher unbekannter spanischer Zollstationen an den Grenzen Andorras. Inzwischen haben die Parteien einen Modus vivendi gefunden, bei dem viele ungeregelte Fragen in der Schwebe blieben. Seit 1977 werden von einer Amtsstelle des Bischofs in Andorra und fast ausschließlich in seinem Namen Münzen ausgegeben, die seit 1983 einen Nennwert in Diner angeben. Der seit 1983 geschaffene Diner zu 100 Centims galt anfänglich 100, seit 1986 aber 125 spanische Peseten. Allerdings handelt es sich beim andorranischen Diner, wie beispielsweise auch beim Scudo von San Marino, um eine fiktive Währung, die im Umlauf im Ausgabeland nicht vorkommt. Legt man an die Münzen Andorras den gleichen strengen Maßstab wie an die Münzen von Staaten in Afrika, Arabien oder in der Südsee, kann man sie nur als Pseudomünzen, eventuell auch als Anspruchsprägungen des Bischofs von Urgel klassieren.
Unter den Bischöfen von Urgel tragen mehrere den Titel eines Heiligen; neben den obskuren und wahrscheinlich rein legendären ersten Amtsinhaber St. Ktesiphon und St. Urbicio, auch ein im 6. Jahrhundert lebender Sant Justo und der zu Anfang des 11. Jahrhunderts lebende Sant Ermengol. Der Sohn des Vizegrafen Bernat von Conflent und Neffe des Bischofs Salla von Urgel (981-1010) wird im Jahre 1001 als Archidiakon und später als Auxiliarbischof seines Onkels, dem er 1010 nachfolgte, erwähnt. Wie schon sein Vorgänger stärkte und konsolidierte Ermengol, der 1035 starb, die kirchliche und landesherrliche Stellung des Bischofs von Urgel, doch sind von ihm keine politischen und schon gar keine religiösen Großtaten überliefert, so daß nicht klar ist, warum ihn die Einwohner seines Bistums zum Heiligen machten.
Ermengol oder Armengoi, ein Name, den außer unserem Heiligen auch zehn Grafen von Urgel trugen, ist die katalanische Form des germanischen Namens Hermenegildo. Dieser Name tritt beidseits der Pyrenäen auch in seinen französischen Varianten Ermengaud und Armangaud und latinisiert als Ermengardus auf. Wird jedoch, was in Münzzeitschriften häufig geschieht, der latinisierte Name als Ermengard in die deutsche Sprache übertragen, so ergibt sich eine falsche Form. Ermengard(a) ist ein Frauenname, der in Südfrankreich und Katalonien im Mittelalter ebenfalls sehr beliebt war, den aber kein Bischof tragen konnte.
Hans Herrli, MünzenRevue 12/1992, S.1498
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